Neues EU-Vertriebskartellrecht seit 1. Juni 2022 in Kraft!

Die neue Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO) und die sie ergänzenden, neuen Leitlinien wurden am 10. Mai 2022 veröffentlicht und sind seit 1. Juni 2022 in Kraft.


Die neue Vertikal-GVO erlaubt eine möglichst rechtssichere Gestaltung von Vertriebsverträgen, indem sie u.a. Vorgaben zur Zulässigkeit von Alleinvertriebssystemen und selektiven Vertriebssystemen macht. Die neue Vertikal-GVO ersetzt die Regelung aus dem Jahr 2010 und soll ausdrücklich der zugenommenen Bedeutung des Online-Handles und der Digitalisierung Rechnung tragen.

Die neue Vertikal-GVO erfasst Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern und betrachtet diese als zulässig, wenn die beteiligten Unternehmen Marktanteile bis maximal 30% haben und keine Kernbeschränkungen enthalten. Hierbei hält die Neuregelung an dem grundsätzlichen Konzept fest, dass die Vertragsparteien selbst bewerten müssen, ob ihre Absprachen und Verträge kartellrechtskonform sind. Diese Bewertung soll durch die neuen Leitlinien vereinfacht werden.

Folgende Aspekte sind als wichtig herauszuheben:

Preisbindung der zweiten Hand

Das Verbot gegenüber dem Händler, Preise unterhalb eines vom Anbieter festgelegten Betrags zu bewerben, wird auch weiterhin als mittelbare und damit unzulässige Preisbindung der zweiten Hand eingestuft.
Maßnahmen des Preismonitorings bzw. des Preisreportings als solche werden hingegen nicht als Preisbindung der zweiten Hand betrachtet.
Ein Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten darf keinen Fest- oder Mindestweiterverkaufspreis für das von ihm vermittelte Geschäft vorschreiben.

Exklusivvertriebssystem

Hersteller können künftig nicht nur einem Händler, sondern bis zu fünf Händlern gleichzeitig ein und dieselbe Kundengruppe oder ein und dasselbe Gebiet zuweisen.

Hersteller können künftig den Händlern Vorgaben bzgl. der von ihnen verwendeten Sprachen beim Online-Verkauf zu machen, weil der Einsatz von Fremdsprachen, jenseits der Weltsprache Englisch nun als aktiver Verkauf gilt.

Außerdem können Hersteller künftig das Verbot aktiven Verkaufs in exklusiv zugewiesene oder vorbehaltene Vertriebsgebiete an die Kunden des Händlers weiterreichen. So kann der Hersteller nun auch von seinen Händlern verlangen, dass diese ihren direkten Kunden untersagen, aktiv in Gebiete oder an Kundengruppen zu verkaufen, die der Hersteller anderen Händlern exklusiv zugewiesen oder sich selbst vorbehalten hat. Nach der bisherigen Regelung war jede Beschränkung des aktiven Verkaufs an exklusiv zugewiesene oder vorbehaltene Kundengruppen oder Gebiete auf die erste Vertriebsstufe beschränkt.

Wettbewerbsverbote über 5 Jahre hinaus

Weiterhin gilt hier die Maximaldauer von fünf Jahren. Neu ist, dass Wettbewerbsverbote sich stillschweigend über einen Zeitraum von fünf Jahren verlängern können, wenn angemessene Kündigungs- bzw. Neuverhandlungsmöglichkeiten eingeräumt werden, so dass der Händler zum Ablauf der fünf Jahre aus dem Wettbewerbsverbot aussteigen kann.

Online-Plattformen und Preisvergleichsseiten

Die neuen Regelungen erfassen nun auch Online-Vermittlungsdienste wie Online-Marktplätze, App-Stores, Preisvergleichsinstrumente oder Social-Media-Dienste als vertikale Vereinbarungen. Hierbei wird der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten in Bezug auf diese Dienste als Anbieter und der Nutzer als Abnehmer eingestuft. Dies bedeutet, dass der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten bei etwaigen Verkaufsbeschränkungen die Vorgaben der unzulässigen Kernbeschränkungen zu beachten hat. Die Kommission geht allerdings im Grundsatz in den Leitlinien davon aus, dass in den meisten Fällen eine Freistellung nicht in Frage kommen werde. Dies gilt insbesondere dann nicht, wenn der Anbieter der Dienste mit seinen Nutzern beim Verkauf der vermittelten Waren im Wettbewerb steht.

In Übereinstimmung mit dem EuGH-Urteil „Coty“ kann nach den Richtlinien die Nutzung von Online-Marktplätzen verboten werden.

Verbote von Preisvergleichsmaschinen sind weitgehend unzulässig, da sie nach Auffassung der Kommission den passiven Verkauf beschränken. Das soll weitgehend auch in selektiven Vertriebssysteme gelten. Die Auferlegung von Qualitätsanforderungen oder das Verbot einiger Preisvergleichsinstrumente bleibt nach Ansicht der Kommission jedoch möglich. Zulässig wären solche Verbote hingegen in Alleinvertriebssystemen, dass Händler über die Preisvergleichsmaschinen nicht aktiv in exklusiv dem Hersteller oder Dritten vorbehaltene Gebiete / an exklusive Kunden verkaufen.

Online-Vertrieb

Die neue Vertikal-GVO enthält eine neue Kernbeschränkung zum Online-Vertrieb: Hiernach sind Vereinbarungen unzulässig, welche die effektive Nutzung des Internets für den Vertrieb von Waren beschränken. Hierzu gehören auch Vereinbarungen, die darauf abzielen, das Gesamtvolumen des Online-Verkaufs oder die Möglichkeit für Verbraucher, diese online zu erwerben, erheblich zu verringern. Als Kernbeschränkung für den Online-Vertrieb wird des Weiteren das Verbot für den Händler bewertet, die Marken des Herstellers auf seiner Website zu verwenden.

Erlaubt sind hingegen Beschränkungen des Online-Verkaufs oder Beschränkungen der Online-Werbung, die nicht darauf abzielen, die Nutzung eines gesamten Werbekanals zu verhindern. Hier nennen die Leitlinien Beschränkungen der Online-Werbung, die sich auf den Inhalt der Online-Werbung beziehen oder bestimmte Qualitätsanforderungen festlegen. Grundvoraussetzung ist, dass der Händler seinen eignen Online Shop betreiben kann.

Doppelpreissysteme Online-/Offline-Verkauf

Neu ist, dass die bisher generell unzulässigen Doppelpreissysteme zwischen stationären Verkauf und Online Verkauf aufgeweicht werden. Hier möchte die Kommission einen Anreiz oder eine Belohnung für angemessene Investitionen in die jeweiligen Vertriebskanäle fördern oder belohnen. So soll ein anderer Großhandelspreis für online verkaufte Produkte im Vergleich zu stationär verkauften Produkte zulässig sein, wenn nicht die tatsächliche Nutzung des Internets durch den Händler verhindert wird. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der Preisunterschied zu groß wäre und dadurch der Online-Verkauf wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll wäre.

Fazit:

Das neuen Vertriebskartellrecht ist am 1. Juni 2022 in Kraft getreten und wird für die nächsten zwölf Jahre gelten. Die neuen Vorschriften sehen eine Übergangsfrist von einem Jahr für bestehende Verträge vor und beinhalteten mehrere Änderungen, die zu einer Modernisierung im Bereich des Vertriebs führen werden.

Außerdem ist den wichtigen Bereichen des Online Vertriebs und der Plattformen Rechnung getragen worden.

Die Differenzierung zwischen den Preisen im Online Vertrieb und dem stationären Vertrieb ist zu begrüßen. Nunmehr können auch die tatsächlich unterschiedlichen Kosten der Vertriebskanäle berücksichtigt werden. Hierbei wird in den Leitlinien betont, dass der Preisunterschied die Investitionen oder Kosten der Art des Vertriebs berücksichtigen muss.

Daher empfehle ich Herstellern und Händlern ihre bestehenden Verträge zu überprüfen, ob sie noch in Einklang mit den neuen Regeln stehen oder aber aus strategischen Gründen angepasst werden sollen.

Simple Share Buttons