EuGH: Auch durch Design geschützte Felgen der Kraftfahrzeughersteller dürfen zur Reparatur kopiert werden

Am 20.12.2017 hat der EuGH in einem zumindest aus deutscher Sicht überraschenden Urteil die Anwendung der so genannten Reparaturklausel auf geschmacksmusterrechtlich geschützte Felgen von Kraftfahrzeugherstellern bejaht (EuGH Urteil vom 20.12.2017 C-397/16 und C-435/16). Das Urteil hat zur Folge, dass ein geschmacksmusterrechtlicher Schutz für Originalfelgen der Kraftfahrzeughersteller entfällt und Felgen in identischer Gestaltung von Drittanbietern angeboten und in den Verkehr gebracht werden können. Das allerdings nur dann, wenn dies ausschließlich zu Reparaturzwecken erfolgt und der Herstellung des Originalzustandes des Kraftfahrzeuges dient.

Hersteller von Kraftfahrzeugen schützen regelmäßig sowohl das Design ihrer Kraftfahrzeuge als auch das Design einzelner Kraftfahrzeugteile durch eingetragene Designrechte. Dies gilt insbesondere für Felgen. Auf der Ebene der Europäischen Union erfolgt der Schutz der Designs regelmäßig über die Eintragung eines so genannten Gemeinschaftsgeschmacksmusters bei dem Amt für Geistiges Eigentum der Europäischen Union.

Der geschmacksmusterrechtliche Schutz hat zur Folge, dass ein geschmacksmusterrechtlich geschütztes Erzeugnis wie etwa eine Felge von Dritten grundsätzlich weder in identischer noch in einer abweichenden Form, die den gleichen Gesamteindruck hervorruft, hergestellt und vertrieben werden darf.

Von diesem Grundsatz macht die so genannte Reparaturklausel in Art. 110 Abs. 1 der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung im Interesse des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs eine Ausnahme. Danach besteht für ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, kein Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster.

Über die Auslegung und den konkreten Umfang der Reparaturklausel bestanden allerdings unterschiedliche Auffassungen. In Deutschland und einigen anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wurde von den Gerichten wie beispielsweise dem Landgericht Stuttgart die Auffassung vertreten, die Reparaturklausel gelte nur für formgebundene Bauelemente, also solche Bauelemente, deren Gestaltung durch das Erscheinungsbild des komplexen Gesamterzeugnisses prinzipiell unveränderlich festgelegt und damit nicht vom Kunden frei wählbar ist. Nach dieser Auffassung würde die Reparaturklausel also etwa für Kotflügel gelten, nicht aber für Felgen, da diese von dem Kunden frei ausgewählt werden können und deren Gestaltung durch das Kraftfahrzeug nicht vorgegeben ist.

Demgegenüber wurde etwa in Italien und einigen weiteren Mitgliedsstaaten der Europäischen Union von Gerichten wie beispielsweise dem Berufungsgericht in Mailand die Auffassung vertreten, die Reparaturklausel gelte uneingeschränkt für sämtliche Bauelemente unabhängig davon, ob sie formgebunden sind oder nicht. Nach dieser Auffassung würde die Reparaturklausel also auch für Originalfelgen der Kraftfahrzeughersteller gelten, deren geschmacksmusterrechtlicher Schutz dann entfallen würde und die dann von Drittanbietern jedenfalls zu Reparaturzwecken identisch nachgebaut werden könnten.

Urteil des EuGH

Vor diesem Hintergrund hatten der deutsche Bundesgerichtshof und das italienische Berufungsgericht in Mailand dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung der Reparaturklausel vorgelegt. Dies im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, die von Porsche gegen einen italienischen Felgenhersteller in Deutschland und von Audi gegen einen italienischen Felgenhersteller in Italien angestrengt worden waren. Gegenstand der Rechtsstreitigkeiten waren teilweise identische, teilweise abgewandelte Nachbauten von Originalfelgen. Unter anderem sollte der EuGH folgende Fragen beantworten:

1. Ist der Anwendungsbereich der Schutzschranke auf formgebundene Bauelemente, also solche Bauelemente beschränkt, deren Form durch das Erscheinungsbild des Gesamterzeugnisses prinzipiell unveränderlich festgelegt und damit vom Kunden nicht – wie etwa bei Felgen – frei wählbar sind?

2. Wenn die Reparaturklausel für alle Bauelemente anwendbar ist: Ist der Anwendungsbereich der Reparaturklausel auf identisch gestaltete Bauelemente beschränkt oder erfasst er auch leicht abgewandelte Gestaltungen, bei der etwa die Farbe oder die Größe modifiziert wurde?

3. Wenn die Reparaturklausel für alle Bauelemente anwendbar ist außerdem: Welche Maßnahmen muss ein Anbieter eines grundsätzlich das Gemeinschaftsgeschmacksmuster verletzenden Bauelements ergreifen, um objektiv sicherzustellen, dass sein Bauelement ausschließlich zu Reparaturzwecken und nicht auch zu anderen Zwecken, etwa der Aufrüstung oder der Individualisierung des Gesamterzeugnisses, erworben werden kann?

Die erste Frage beantwortete der EuGH, gestützt in erster Linie auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung dahingehend, dass die Reparaturklausel im Ergebnis nicht nur für formgebundene Bauteile, sondern für sämtliche Bauteile gilt, die in komplexe Erzeugnisse eingebaut werden. Dies hat zur Folge, dass entgegen der bisherigen Auffassung der deutschen Gerichte etwa auch geschmacksmusterrechtlich geschützte Felgen in den Anwendungsbereich der Reparaturklausel fallen und daher unter den Voraussetzungen der Reparaturklausel identisch nachgebaut werden können.

In Bezug auf die zweite Frage stellt der EuGH klar, dass die Reparaturklausel nur bei optisch identischen Nachbauten, nicht aber bei optisch ähnlichen Nachbauten eingreift. So hat der EuGH die Anwendung der Reparaturklausel etwa bei farblich veränderten Felgen oder auch nur geringfügig in Bezug auf die Formgebung abgewandelten Felgen abgelehnt. An der bekannten Problematik, dass ähnliche Felgen von Drittanbietern zu einer Verletzung der Geschmacksmusterrechte der Originalhersteller führen können, ändert sich daher nichts. Insofern gelten nach wie vor die allgemeinen und bekannten Grundsätze.

Unabhängig von der Frage einer Ausnahme vom geschmacksmusterrechtlichen Schutz bei optisch identischen Nachbauten zu Reparaturzwecken besteht selbstverständlich weiterhin die Problematik, dass die nachgebauten Felgen die erforderlichen straßenverkehrsrechtlichen Zulassungen benötigen. Entweder muss es sich also um ein Ident- oder ein Nachbaurad im Sinne der 54. Ausnahmeverordnung zur StVZO handeln, was in der Regel nicht der Fall sein dürfte, oder es müssen für die nachgebauten Räder die erforderlichen straßenverkehrsrechtlichen Zulassungen sichergestellt werden.

Zu der dritten Frage führt der EuGH aus, dass dem Hersteller der Nachbauten eine umfassende Sorgfaltspflicht obliegt, aufgrund derer er durch geeignete Maßnahmen sicherstellen muss, dass die nachgebauten Räder tatsächlich ausschließlich zu Reparaturzwecken erworben und eingesetzt werden. Der EuGH erkennt zwar an, dass von dem Hersteller der Nachbauten nicht verlangt werden kann, dass er objektiv und unter allen Umständen sicherstellt, dass die Nachbauten tatsächlich nur zu Reparaturzwecken eingesetzt werden. Es werden ihm aber umfangreiche Verpflichtungen auferlegt.

Erstens muss der Hersteller nach Auffassung des EuGH die nachgelagerten Benutzer mit einem klaren und gut sichtbaren Hinweis auf dem Bauelement, auf dessen Verpackung, in den Katalogen oder in den Verkaufsunterlagen darüber informieren, dass in das betreffende Bauelement ein Geschmacksmuster aufgenommen ist, dessen Inhaber er nicht ist. Außerdem muss er darauf hinweisen, dass das Bauelement ausschließlich dazu bestimmt ist, zu Reparaturzwecken verwendet zu werden, nämlich die Reparatur des Fahrzeuges zu ermöglichen, um diesem wieder sein originales Erscheinungsbild zu geben.

Zweitens muss er mit geeigneten Mitteln vertraglicher Art dafür sorgen, dass die nachgelagerten Benutzer die maßgeblichen Bauelemente nicht für eine Verwendung vorsehen, die von der Reparaturklausel nicht gedeckt ist.

Drittens muss er nach Auffassung des EuGH die Herstellung und den Vertrieb der Bauelemente unterlassen, wenn er weiß oder bei Würdigung aller maßgeblichen Umstände vernünftigerweise wissen musste, dass das Bauelement nicht entsprechend der Reparaturklausel eingesetzt wird.

Für diese Voraussetzungen trägt der Hersteller der Nachbauten im Rahmen einer rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Inhaber eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters die volle Darlegungs- und Beweislast.

Fazit

Unserer Auffassung nach wird das Urteil für die Hersteller von Felgen und deren Geschäftsmodelle keine substantiellen Auswirkungen haben und den Markt nicht grundlegend verändern.

Zum einen ist zu berücksichtigten, dass die Reparaturklausel ausschließlich für optisch identische Nachbauten, nicht aber für abweichende optische Gestaltungen gilt. Im Bereich der ähnlichen Felgen ändert sich an der bisherigen Situation daher nichts.

Zum anderen ist zu beachten, dass der Hersteller der Nachbauten aufgrund der ihm obliegenden umfangreichen Sorgfaltspflicht durch entsprechende Hinweise auf dem Produkt und in der Werbung sowie durch vertragliche Regelungen sicherstellen muss, dass die Felgen nur entsprechend der Reparaturklausel eingesetzt werden. Dies wird nur schwer möglich sein, zumal im Rahmen eines Rechtsstreits der Hersteller der Nachahmungen die volle Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass er seiner Sorgfaltspflicht auch nachgekommen ist.

Außerdem besteht nach wie vor die Notwendigkeit, die erforderlichen straßenverkehrsrechtlichen Zulassungen sicherzustellen, was mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist.

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